Global, regional – scheißegal?

Wie schön Bayern sein kann! Blick auf den Wendelstein. (Foto: Thomas Klotz)
Wie schön Bayern sein kann! Blick auf den Wendelstein. (Foto: Thomas Klotz)

 

 

Die Flüchtlingskrise stellt die Europäer, insbesondere die Deutschen und Bayern, vor eine riesige Herausforderung: Sie müssen sich nun endlich klar werden, wie viel ihnen ihre Kultur wert ist. Ein Plädoyer für das Denken in großen und kleinen Maßstäben.

 

 

Für Josef Raab war es selbstverständlich, seine Lederhose mit stolz zu tragen. Er sprach tiefstes Oberbayerisch. Der Onkel meines Großvaters wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sogar Bürgermeister in Penzberg, meinem Geburtsort. Er war Bayer durch und durch, mit Trachtenhut, mit Pfeife – und er war einer der bekanntesten Kommunisten Bayerns.

 

Er kämpfte europaweit gegen den Faschismus. Er war Widerstandskämpfer im spanischen Bürgerkrieg gegen die Truppen Francos. Er kämpfte für seine kommunistischen Ideale – und vergaß dabei nie, dass er ein gestandener Bayer war.

 

Von Homogenität keine Spur

Dieses Beispiel zeigt, was in der heutigen Diskussion falsch läuft: Während sich die CSU gibt als hätte sie Bayern erfunden, lehnen die Linken grundsätzlich kulturelle Brauchtümer ab, mit der Begründung, man diskriminiere andere Kulturen, die seit den vergangenen Jahrzehnten zu Deutschland gehören.

 

Doch sowohl das eine wie das andere ist falsch. Denn schon alleine Bayern birgt so viele verschiedene Traditionen und Sichtweisen, dass man hier nicht von einer Homogenität sprechen kann. Aber das bedeutet nicht, dass man sich nicht gegenseitig wertschätzt. Es dauert halt unter Umständen ein bisschen. Das alles lässt sich auch unter dem Begriff Liberalitas Bavariae, also die den Bayern eigene Freiheitsgesinnung, sammeln. „Leben und leben lassen“ ist auch ein Spruch, der das bayerische Selbstverständnis beschreibt.

 

Brezn gehören zu Bayern!

Ist es also, um auf die Politik der heutigen Tage zu kommen, verwerflich, Flüchtlingen Brezn anzubieten? Ist es verwerflich, eigene Traditionsveranstaltungen wie Volksfeste und Trachtenumzüge abzuhalten, weil sich andere dadurch gestört fühlen könnten? Ist es verwerflich, dass bei uns viertelstündlich Kirchenglocken läuten, man aber keine Muezzine hört? Keineswegs!

 

Brezn gehören so zum Leben in Bayern wie – zugegebenermaßen oftmals zu ausladende – Volksfeste. Und auch wenn immer weniger Menschen in die Kirche gehen, der christliche Glaube hat unsere Region geprägt. (Nebenbei sei hier angemerkt, dass es meiner Erfahrung nach nur sehr selten Muslime sind, die sich über die Kirchenglocken (oder auf dem Land auch Kuhglocken) aufregen. Vielmehr finden es neureiche Schnösel durchaus toll, ihr Landhaus mit Blick auf die Alpen zu haben. Dass zum Landhaus auch Landluft (Odel bzw. Gülle) und Kuhglockengebimmel gehören, sollte man eigentlich schon vorab wissen.)

 

Austausch ist wichtig!

Und wieder: Das alles heißt nicht, dass man andere Religionen und Kulturen nicht wertschätzt. Der Austausch ist wichtig und richtig. Beiderseits, Alteingesessene und Zuagroaste (Zugezogene)! Wer die Möglichkeit hat, sollte sich unbedingt die Moschee in Miesbach anschauen. Ein absolut sehenswertes Gebäude. Auch die Mitglieder der Türkisch-Islamischen Gemeinde sind sehr nett. Und der Apfeltee: einfach köstlich!

 

In den vergangenen Jahrzehnten gab es bayerische Staatsmänner, die es verstanden, global zu denken, das Lokale aber nicht zu vergessen. Die einen konnten das besser als die anderen. Aber für alle waren beide Dimensionen wichtig: das Denken in großen und in kleinen Maßstäben. Franz Josef Strauß war einer dieser Staatsmänner. Auch wenn ich seine politischen Auffassungen nicht gänzlich teile und er bestimmt nicht der Heilige oder der Teufel war, zu dem er heute gemacht wird, so finde ich einen Spruch von ihm bemerkenswert: „Wer groß im Großen sein will, muss auch groß im Kleinen sein.“

 

Hitler und die Lederhose

Unsere kulturellen Errungenschaften sollen erhalten bleiben! Und kulturelle Eigenheiten beziehen sich immer auf eine kleine Region. Im Landkreis Miesbach wird anders gesprochen als in Landkreis Weilheilm-Schongau. Auch die Trachten unterscheiden sich. Schon wenige Kilometer machen einen Unterschied! Aber: Im Großen und Ganzen haben wir sehr ähnliche Traditionen, insbesondere im süddeutschen Raum gibt es nur marginale Unterschiede.

 

Natürlich haben wir als Deutsche mit Tradition und Brauchtum ein Problem. Das ist geschichtlich bedingt. Die Nationalsozialisten vergifteten mit ihrem Deutschtum die Traditionskultur. Aber: Hitler ist seit über 70 Jahren tot. Wir und unsere Eltern können nichts für den Holocaust. Unsere Aufgabe ist es, dieses Verbrechen an der Menschheit nicht zu vergessen und uns gegen Gewalt und Rassismus einzusetzen. Unsere Aufgabe ist aber nicht, sämtliche schöne Traditionen zu vergessen. Nun werden manche einwerfen: „Aber die Nazis haben oft auch Tracht getragen!“

 

Ja, Hitler hatte eine Lederhose (wenn auch keine besonders schöne). Aber soll man deswegen auch heute auf eine Tradition verzichten, die um einiges älter ist als der kleine Braune aus Braunau? Und: Er hatte trotzdem seine hässlichen Hemden dazu an, was sich für einen Trachtler nicht gehört.

 

Brauchtum wird auch missbraucht

In der heutigen Diskussion scheint es so, als wollten rechte Hetzer Brauchtum und Tradition für ihre Zwecke missbrauchen. Dieses Prinzip nutzten ja schon die Nationalsozialisten, heute hetzen PEGIDA und AfD gegen Einwanderer und Flüchtlinge. Der Untergang des Abendlandes wird prophezeit. Noch Extremere zünden Flüchtlingsheime an. All das hat nichts mit bayerischer Tradition zu tun.

 

Bayern war immer ein Einwanderungsland. Die bekannten Stickereien auf den Lederhosen, vor allem die Frauenmantelmotive, kommen beispielsweise von den Ende des 19. Jahrhunderts nach Oberbayern eingewanderten Arbeitern aus Mähren und Böhmen. Bayern hat es immer geschafft, Einwanderer einzugliedern in die Gesellschaft. Keine Frage, das ist nicht immer problemlos von statten gegangen.

 

Syrer? Nein, Norddeutsche verändern Bayern

Vor allem in den vergangenen Jahrzehnten leidet die bayerische Kultur unter dem großen Zuzug aus Norddeutschland. In München kann man sich mittlerweile entscheiden zwischen einem Frikadellenbrötchen und einem Bavarian Burger (Laugensemmel mit Leberkäse bei Richart). Der oberbayerische, der schwäbische, der fränkische Dialekt – sie alle sind vom aussterben bedroht.

 

Auf einem Seminar in Bremen wurde ich gefragt: „Sach ma, ihr in Bayern, schreibt ihr eigentlich auch so wie ihr sprecht?“ Ich hab geantwortet: „Ja! Vor allem in SMSen.“ Das war nicht gelogen. Es gehört schließlich zum bayerischen Selbstverständnis, Dialekt zu sprechen! Von Zuagroasten wird man dafür oftmals belächelt.

 

Aber: Offenbar finden es dennoch viele Neu-Münchner hip, sich bayerisch zu geben, obwohl sie das mitunter auch mit hinterwäldlerisch und primitiv gleichsetzen. Die alljährlich verspätete Faschingsveranstaltung Oktoberfest ist der beste Beleg dafür. In neonfarbenen Minidirndln, die eher auf dem Straßenstrich zu finden sein sollten, und in blau gefärbten Schweinslederhosen werden überteuerte Wiesnkrüge geleert. Am Ende trifft man sich zum gemeinsamen Rausch ausschlafen unter der Bavaria. Mit bayerischer Gemütlichkeit hat das wenig zu tun. Die Bavaria müsste eigentlich schamrot werden angesichts des hemmungslosen Saufgelages.

 

Wie geht's weiter?

Ich finde es wichtig, dass weiterhin Traditionen aufrechterhalten werden. Dass Brauchtum gelebt wird. Das hat aus Bayern das gemacht, was es heute ist. Und jeder, der in Bayern lebt, soll an diesen Traditionen teilnehmen können – oder sie zumindest akzeptieren. Ein echtes Trachtengewand ist kein Kasperlkostüm. Sich zu freuen, dass man aus diesem Teil der Erde stammt, hat nichts verwerfliches. Jeder in Europa, egal ob Franzose, Ungar, Italiener, Schwede oder Holländer, lebt das viel selbstbewusster vor als die Deutschen.

 

Flüchtlinge aus Syrien, die in Bayern bleiben wollen (und die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllen), sollen dafür die Chance bekommen. Sie sollen sich integrieren und Teil unserer Gemeinschaft werden können. Werden auch Motive aus ihrer Heimat dereinst unsere Lederhosen zieren?

 

Josef Raab, der Kommunist und Onkel meines Großvaters, jedenfalls würde die geflüchteten Menschen mit offenen Armen empfangen. Und dabei ganz selbstverständlich seine Lederhose tragen, seine Pfeife rauchen und „Grüß Gott“ sagen.

 

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