Sind Bienen die besseren Demokraten?

Ein einsamer Demokrat? (Foto: Thomas Klotz)
Ein einsamer Demokrat? (Foto: Thomas Klotz)

„Bienendemokratie“ – mit diesem Buch sorgte der Bienenforscher Thomas D. Seeley für Aufsehen, nicht nur unter Imkern. Doch stimmt Seeleys These, dass es demokratische Strukturen im Bienenvolk gibt?

 

Dieser Beitrag, der auf meinem Vortrag beim Imkerverein Gmund – Tegernseer Tal und Umgebung e.V. im Februar 2016 basiert, geht der Frage nach der Bienendemokratie nach.

 

Aristoteles und die Bienen
Aristoteles lebte im vierten Jahrhundert vor Christus und war Schüler Platons. Er gilt bis heute als Begründer der Politikwissenschaft, weil er verschiedene Verfassungen sammelte und verglich. Zugleich beobachte er als Universalgelehrter seine Umwelt ganz genau. Hier kam er zu dem Schluss, die Lebewesen in verschiedene Kategorien einzuordnen:

Unter anderem gibt es Tiere, die sich von Haus aus zusammenschließen, um zu überleben. Wie etwa Bienen oder Ameisen – oder Menschen. Aristoteles bezeichnete ein solches, Staaten (Polis) bildendes Lebewesen als „zoon politikon“, als Lebewesen in der Polisgemeinschaft.

Aristoteles gilt darüber hinaus als einer der ersten, der sich Gedanken über einen demokratischen Staatsaufbau gemacht hatte. Er untersuchte dafür Aristokratien, Monarchien, Tyrannenherrschaften und viele mehr.

 

Die Athener Verfassung
Die Athener Verfassung, die seinerzeit als mustergültig galt, ist aus vier Säulen aufgebaut:

  • Vorherrschaft der Volksversammlung: tagt 40 Mal im Jahr, entscheidet richtungsweisend
  • Rat der 500: Vergleichbar mit dem Bayerischen Senat, den es bis 1999 gab; eine Vertretung von Regionen/Ständen (ausgelost)
  • Beamte: durch Losentscheid Führungsaufgaben bei kulturellen, politischen, militärischen Aufgaben
  • Gerichtsbarkeit

Wer aber waren die Vollbürger, die in Athen entscheiden und wählen durften?

Sie mussten frei sein, also niemandem gehören. Sklaven waren damit ausgeschlossen – und Frauen. Vollbürger mussten zudem finanziell abgesichert sein, aber nicht reich. Auch einfache Handwerker und Bauern durften wählen, sofern sie waffenfähig waren und eindeutig von Athenern abstammten (was Aristoteles selbst übrigens nicht tat). Durch diese Einschränkungen galt im günstigsten Falle nur jeder Vierte, im schlechtesten nur jeder Siebte als Vollbürger.

Dies ist wichtig für die spätere Betrachtung der Bienendemokratie. Ebenso relevant ist Jürgen Habermas.

 

Von Aristoteles zu Habermas
1929 wurde er geboren und gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der sogenannten Neueren Kritischen Theorie. Prägend für Habermas‘ Theorie ist die Kommunikation. Er behauptet, dass sich allein durch Kommunikation Konflikte beseitigen lassen und vernünftige Entscheidungen getroffen werden. In der Gemeinschaft werden Geltungsansprüche artikuliert, die verständlich im Ausdruck, wahr in der Aussage, wahrhaftig in der Intention und richtig im Hinblick auf ihre Normen sein müssen. Dabei gilt: Wer spricht, setzt immer schon voraus, dass eine Einigung möglich ist.

Und das muss natürlich auch im Bienenvolk gelten.

 

Kommunikation im Bienenvolk
Die wichtigsten Kommunikationsmittel im Bienenvolk sind:

  • chemische Signale: Wird beispielsweise die Wächterbiene am Flugloch gestört, rennt sie in den Stock und gibt das Stachelrinnenpolster mit dem Alarmsekret frei. Daraufhin kommt eine Schar alarmierter Bienen zur Hilfe.
  • mechanische Signale: Vor dem Schwärmen schütteln Arbeiterbienen die Königin. Dadurch wird sie durch den gesamten Bienenstock gehetzt, wodurch sie die Eiablage einstellt und abnimmt, um später fliegen zu können.
  • optische Signale: Ein Beispiel hierfür ist der Schwänzeltanz.
  • akustische Signale: Ein Beispiel: Eine Biene kommt in den Stock zurück und zeigt mithilfe des Schwänzeltanzes eine Nektarquelle an. Die Nachtänzerinnen fordern mittels eines Pieplautes eine Nektarprobe an, um den Duft wahrzunehmen und die Quelle später besser erkennen zu können.

Es gibt also ganz viele verschiedene Möglichkeiten der Kommunikation. Damit ist eine grundlegende Bedingung für Diskussionen – und somit demokratische Entscheidungsfindungen – gegeben.

Als Beispiel für eine demokratische Entscheidungsfindung im Bienenvolk schauen wir uns das Schwärmen an. Was den Imker nur selten freut, ist allerdings für die Bienen ein wichtiges Instrument zur Arterhaltung und -vermehrung.

 

Die Königin hat nichts zu melden
Schon die Entscheidung, das Schwärmen vorzubereiten, trifft nicht die Königin, sondern der Bienenstaat, also insbesondere die Arbeiterinnen. Sie bauen Weiselzellen, in denen die Königin dann Eier legt. Damit eine Königin aus dem Ei wird, wird sie mit Gelee Royale gefüttert. Die Ursachen, warum das Volk Weiselzellen baut und damit das Schwärmen vorbereitet, sind noch nicht zu 100 Prozent erforscht. Klar ist, dass ein großes Futterangebot, eine gewisse Größe des Bienenvolkes und das Wetter wichtige Rollen dabei spielen.

Die Königinmutter wird, nachdem sie die Weiselzellen bestiftelt hat, immer weniger gefüttert, wodurch keine Eiproduktion mehr stattfindet. Von den Arbeiterinnen wird sie im Stock herumgescheucht – durch Schütteln, Stoßen und Beißen. Kurz vor dem Ausschwärmen passiert das ca. alle zehn Sekunden. Insgesamt verliert sie etwa ein Viertel ihres Gewichtes. Zum Vergleich: Eine Frau mit 60 Kilogramm würde dann innerhalb von Tagen 15 Kilo verlieren.

Die Arbeiterinnen hingegen machen das genaue Gegenteil: Sie stopfen sich mit Honig voll und nehmen deutlich zu, bis zu 50 % ihres Körpergewichts. Die 60 Kilo schwere Frau würde dann also 90 Kilo wiegen. Zudem schwellen bei den Arbeiterinnen die Wachsdrüßen an.

 

Im Zentrum des Geschehens: die Kundschafterbienen
Bereits hier sind die Kundschafterbienen unterwegs. Sie sind es, die den Abflugzeitpunkt bestimmen, weil sie draußen und drinnen unterwegs sind, währen die anderen Arbeiterinnen zunehmen. Später wird etwa ein Drittel des Schwarmgewichts ein Futtervorrat in Form von Honig in den Honigblasen der Bienen sein. Die Kundschafterbienen behalten zum einen das Puppenstadium der neuen potentiellen Königinnen im Auge, aber zum anderen auch das Wetter.

Wenn der Schwarm schließlich ausfliegen soll, aktivieren die Kunderschafterbienen ihre Genossinnen durch Vibration mit einer Frequenz von 200 – 250 Herz. Das dabei entstehende Geräusch wird Arbeiterinnenpfiff genannt. Dadurch wird der gesamte Stock in Alarmbereitschaft versetzt: Die Flügelmuskulatur wird auf eine Temperatur gebracht. Haben alle die sogenannte Flugbereitschaftstemperatur von 35 ° Celsius erreicht, werden die Pfiffe immer lauter, bevor die Schwirrlaute, also schubweißes Summen, das Startsignal zum Ausschwärmen geben. Nach zehn bis 20 Minuten eines wilden Schwarms mit rund 10.000 Bienen bildet sich eine Traube. Für die Kundschafterbienen geht die Arbeit jetzt erst richtig los.

 

Wer sind diese Kundschafterbienen?
Bei den Kundshcafterbienen handelt es sich um ehemalige Sammlerbienen, wie der Verhaltensbiologe Lindauer herausgefunden hat. Sie gehören damit zu den ältesten Bienen im Volk und bringen somit auch die meiste Erfahrung mit. Außerdem sind sie auch genetisch besonders ausgestattet. In einem untersuchten Schwarm wurde festgestellt, dass 60 Prozent der Kunderschafterbienen von einer einzigen Drohne abstammen; im ganzen Volk waren es hingegen nur 20 Prozent. Hier muss die Königin also bei der Eiablage bereits wissen, welches ihrer gesammelten Samenpakete genutzt werden soll, damit dereinst eine Kundschafterbiene entstehen kann. Wie das genau funktioniert, hat die Forschung allerdings noch nicht herausgefunden.

Was man jedoch mit Sicherheit weiß: Die Kundschafterbienen spielen eine erhebliche Rolle beim Finden eines neuen Nistplatzes. Sie sind es, die diese demokratische Entscheidung für einen Standort treffen.

 

Schönes, neues Heim
Wie muss nun ein solcher Nistplatz aussehen, damit er von den Kundschafterbienen auserwählt wird? Thomas D. Seeley hat dafür viele verschiedene Bienenwohnungen untersucht. Beim ersten Mal gab er eine Zeitungsannonce auf: „Suche Bienenbäume. Zahle 15 $ oder 15 Pfund Honig für einen Baum, in dem eine lebende Bienenkolonie nistet.“

Insgesamt 18 Bäume fällte Seeley, nachdem er die Bienen mit Blausäure tötete. Er stellte dabei fest: Es gab keine bevorzugte Baumart. Der durchschnittliche Durchmesser einer solchen Höhle betrug 20 cm, die Höhe lag bei 150 cm. Das Volumen lag meist um die 45 Liter, jedoch nie kleiner als 12 Liter. Durchschnittlich hatten die Bienenvölker 14 kg Honig bei sich. In einem typischen Nest fanden sich etwa 100.000 Wabenzellen auf 8 Waben, die etwa 2,5 Quadratmeter groß waren und aus 1,2 Kilogramm Bienenwachs bestanden (was die Bienen etwa 7,5 kg Honig für die Produktion kostete).

 

Demokratie der Einheit
Diese Eigenschaften, wie etwa die Größe der Baumhöhle, die Ausrichtung des Eingangs etc., sind deswegen besonders wichtig, weil die Bienen eine gemeinsame Wohnung beziehen wollen, die bestmögliche Voraussetzungen bietet. Somit handelt sich hier um eine Demokratie der Einheit. Alle Bienen wollen das Gleiche.

Im Durchschnitt gibt es für die Bienen 24 verschiedene Anlaufmöglichkeiten, die in Frage kämen. Thomas D. Seeley schreibt: „Der Schwarm kann bei der Wohnungssuche so gründlich vorgehen, weil seine demokratische Organisation die Möglichkeit schafft, die Leistungsfähigkeit zahlreicher kooperierender Individuen auszunutzen und kollektiv die beiden grundlegenden Teile des Entscheidungsprozesses zu vollziehen: die Beschaffung von Informationen über die Alternative und ihre Verarbeitung zum Zweck der Entscheidungsfindung.“ 

 

Wie finden die Bienen nun den besten Platz?
Die mehreren hundert Kundschafterbienen – im Schnitt sind es etwa 5,4 Prozent des Bienenschwarms – fliegen aus und suchen die Umgebung nach Nistplätzen ab, die dem beschriebenen Ideal möglichst nahe kommen. Mit ihren Ergebnissen kommen sie zum Schwarm zurück. Durch den Schwänzeltanz zeigen sie, wo der potentielle Nistplatz liegt und für wie gut sie ihn halten. Martin Lindauer hatte dazu geschrieben: „Die lebhaftesten Tänze weisen auf einen Nistplatz der besten Qualität hin; zweitklassige Behausungen werden mit einem lustlosen Tanz bekanntgemacht."

Lindauer untersuchte das Verhalten der Bienen noch mit einem Farbkasten, einer Uhr und einem Notizblock. Seeley hingegen konnte Videotechnik verwenden. Er stellte fest, dass Kundschafterbienen etwa 37 Minuten zur Inspektion eines Nistplatzes aufwenden. Dafür fliegen sie etwa zehn bis 30 Mal zum Ziel. Bei dieser Erkundungsinspektion untersucht die Kundschafterbiene nicht nur den Innenbereich mehrmals, sondern auch den Außenbereich. Dabei wagt sie sich immer weiter vor.

 

Werbung für den Standort
Je geeigneter die Unterkunft scheint, desto besser wird sie beworben. Daraufhin untersuchen andere Kundschafterbienen den Vorschlag: Sie fliegen hin und wollen sich selbst überzeugen. Danach, sofern die Unterkunft besser ist, als die vorherige, tanzen auch sie für den Standort. Andere Bienen lassen sich davon anstecken und tanzen mit.

Der beste Standort wird am Ende also am meisten beworben. Dabei gibt es ein Problem: Wenn es zwei gleich gute Standorte gibt. Dann fliegt der Schwarm auf und teilt sich in der Mitte. Wenn die einen Bienen dann merken, dass sie keine Königin bei sich haben, und die anderen, dass sie die Hälfte der Bienen verloren haben, treffen sie sich wieder am Ausganspunkt. Demokratie funktioniert hier nicht immer.

Was der perfekte neue Standort ist, entscheidet schließlich ein Quorum, dass aus mindestens 30 Kundschafterbienen besteht. Thomas D. Seeley sieht darin einen Kompromiss, den die Natur gefunden hat: Durch ein Gleichgewicht zwischen Geschwindigkeit (der ein kleines Quorum zuträglich ist) und Genauigkeit (der ein großes Quorum zuträglich ist). Denn das Problem an der ganzen Sache ist: Die Kundschafterbienen haben nie den Überblick über die gesamte Situation, sondern können nur die Bienen in ihrer direkt Umgebung wahrnehmen.

Schlussendlich werden dann die Bienen wieder zum Abflug bereit gemacht durch Signale, die von den Kundschafterbienen ausgehen. Daraufhin werden die Tätigkeit der Flügelmuskulatur und die Temperatur erhöht, bevor der Schwarm letztlich in sein neues Heim einzieht.

 

Demokratie? Eher Politie!
Es gilt also festzuhalten: Die Entscheidung, wo ein neuer Bienenschwarm einzieht, wird von Kundschafterbienen, die nur etwa fünf Prozent des Schwarms ausmachen, getroffen. Bei der tatsächlichen Entscheidungsfindung ist darüber hinaus nur ein Teil der Kundschafterbienen involviert.

Grundsätzlich fällt es schwer, hier also von Demokratie zu sprechen. Aber dennoch ist es erstaunlich, welchen Einfluss die verschiedenen Individuen auf die Entscheidungsfindung haben. Und damit sind die Bienen von der Aristotelischen Idealvorstellung nicht weit entfernt. Dieser favorisierte eine „Politie“ genannte Herrschaftsform. Sie ist eine Mischung aus Oligarchie (Herrschaft weniger) und Demokratie (Herrschaft des Pöbels). In der Politie sollen diejenigen regieren, die am meisten Leistung erbringen und am reichsten sind. Aristoteles unterstellt, dass nur diese über die ausreichende Erfahrung verfügen.Bei den Bienen sind das die Kundschafterbienen.

Damit befinden sich die Bienen auch genau im Aristotelischen Idealzustand, das er in der Nikomachischen Ethik vertritt: Es ist die Tugend zwischen zwei Extremen.

 

 

 

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